Wetterkapriolen, technische Störungen oder Personalmangel – immer wieder kommt es im Bahnverkehr zu Verspätungen, kurzfristigen Fahrplanänderungen oder Zugausfällen. Fährt der Zug nicht wie erwartet, kann das für die Reisenden sehr ärgerlich sein. Welche Rechte sie in solchen Fällen haben, weiß Michaela Rassat, Juristin der D.A.S. Rechtsschutz Leistungs-GmbH (D.A.S. Leistungsservice).
Wo sind die Fahrgastrechte geregelt?
In Europa, und damit auch Deutschland, gelten seit 2009 einheitliche Fahrgastrechte im Eisenbahnverkehr (EU-Verordnung 1371/2007). „Sie gelten für alle Arten von Eisenbahnen, angefangen mit den Zügen der S-Bahn über den Regionalverkehr bis hin zum ICE. Und das unabhängig davon, von welchem Unternehmen sie betrieben werden“, so Michaela Rassat. Fahrgäste können demnach immer dann eine Entschädigung fordern, wenn sie ihren Ankunftsort mindestens 60 Minuten später erreichen, als im Fahrplan vorgesehen.
Die D.A.S. Expertin verweist zudem auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 23. September 2013 (Az. C-509/11): Danach sind Bahnunternehmen auch bei außergewöhnlichen Umständen und höherer Gewalt zur Entschädigung verpflichtet. Das ist beispielsweise bei einem Sturmschaden an der Oberleitung der Fall. Zusätzlich enthalten auch die Beförderungsbedingungen der einzelnen Unternehmen Regelungen zu den Fahrgastrechten. Zwar müssen alle die EU-Verordnung beachten; hier sind jedoch nicht alle Fragen abschließend geklärt. Daher gibt es zwischen den Unternehmen ein paar Unterschiede.
Verspätung oder Zugausfall – was tun?
Als Verspätung zählt die Zeitspanne, um die der Reisende zu spät am Zielort eintrifft. Nach der EU-Verordnung gilt hier für alle Eisenbahnunternehmen: Ist zu erwarten, dass sich die Ankunft eines Zuges um mehr als 60 Minuten verspätet, gibt es die Möglichkeit, die Reise gar nicht erst anzutreten und sich das Ticket kostenlos erstatten zu lassen. Deutsche Bahn-Reisende können sich dazu an ein Reisezentrum wenden. Wer seine Reise antritt, hat bei allen Unternehmen ab einer Verspätung von ein bis zwei Stunden Anspruch auf eine Entschädigung von 25 Prozent des Fahrpreises, ab zwei Stunden 50 Prozent. Fahrgäste mit Zeitfahrkarten im Fernverkehr erhalten eine angemessene Entschädigung nach den Beförderungsbedingungen des jeweiligen Unternehmens. Bei der Deutschen Bahn gibt es pro Verspätungsfall von über einer Stunde in der zweiten Klasse eine Pauschale von 5 Euro, in der ersten Klasse 7,50 Euro. Die Entschädigung beträgt höchstens 25 Prozent des Zeitkartenwertes. Übrigens: Da Bahnunternehmen die Abfahrts- und Ankunftszeiten der Züge archivieren, müssen sich Reisende nicht unbedingt den Zugausfall oder die Verspätung beim Zugbegleiter bestätigen lassen.
Wer auf der sicheren Seite sein möchte, kann dies aber dennoch tun. Bei sehr kleinen Entschädigungsbeträgen – etwa im Nahverkehr – können die Bahnunternehmen eine Bagatellgrenze von bis zu vier Euro festlegen. Beträge darunter müssen sie nicht auszahlen. Zeitkarteninhaber haben die Möglichkeit, Verspätungen zu „sammeln“, damit die Bagatellgrenze überschritten ist. Die Beförderungsbedingungen der Deutschen Bahn sehen außerdem vor, dass Reisende bei einer absehbaren Verspätung ab 20 Minuten auf einen anderen, nicht reservierungspflichtigen Zug umsteigen dürfen – sogar, wenn sie nur ein Nahverkehrs-Ticket haben, aber einen teureren Zug des Fernverkehrs nutzen wollen. „Dann müssen Bahnfahrer aber zunächst den Aufpreis zahlen“, weiß Michaela Rassat, „später können sie ihn von der Bahn zurückfordern.“ Wer ursprünglich eine stark ermäßigte Fahrkarte, zum Beispiel ein Länder-Ticket, erworben hat, hat kein Anrecht auf Rückerstattung des Zuschlages. Diese Regelung gehört nicht zu den allgemeinen Fahrgastrechten nach der EU-Verordnung und gilt deshalb nicht gleichermaßen für alle Unternehmen.
Unterwegs gestrandet
Wer seinen Zielort zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens erreichen soll, aber unterwegs hängen bleibt, kann bei der Deutschen Bahn auf deren Kosten für die Weiterfahrt ein Taxi oder anderes Verkehrsmittel nutzen. „Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass das Bahnunternehmen nicht selbst ein alternatives Verkehrsmittel zur Verfügung stellt. Fahrgäste sollten deshalb unbedingt zuerst das Personal ansprechen. Diese Regelung gilt nach den Beförderungsbedingungen der Deutschen Bahn bei einer zu erwartenden Verspätung ab 60 Minuten oder wenn der letzte fahrplanmäßige Zug des Tages ausfällt. Erstattungsfähig sind allerdings nur Kosten von bis zu 80 Euro“, weiß die Juristin. Nach der EU-Verordnung steht Gestrandeten sogar eine Hotelübernachtung inklusive An- und Abfahrt zu, wenn diese infolge einer Zugverspätung von über 60 Minuten nachts nicht mehr weiterkommen. Wichtig: Bevor sich Reisende ihre Übernachtung selbst organisieren, sollten sie am Bahnhof nach entsprechenden Informationen oder einem Ansprechpartner Ausschau halten. Erst wenn wirklich nichts und niemand auffindbar ist, können sich Betroffene selbst ein Hotel suchen.
Wie kommen Reisende zu ihrer Entschädigung?
Um eine Entschädigung zu erhalten, müssen Bahnreisende ein sogenanntes Fahrgastrechte-Formular ausfüllen. Es ist an den Informations- und Reiseschaltern des Beförderungsunternehmens, im Fall der Deutschen Bahn beim Servicepersonal im Zug oder auf der Website des Servicecenters Fahrgastrechte erhältlich. Dieses Servicecenter bearbeitet Entschädigungsanträge nach der EU-Fahrgastrechteverordnung zentral für eine Reihe von Eisenbahnunternehmen, jedoch nicht für alle. Welche es sind, können Reisende auf dessen Website nachlesen. Das ausgefüllte Formular inklusive einer Kopie des Tickets oder möglicherweise der Hotel- oder Taxi-Rechnung können sie dann an einer Ticketverkaufsstelle des Bahnunternehmens abgeben. Dort erhält der Kunde in der Regel gleich seine Entschädigung wahlweise in Geld oder in Form eines Gutscheins. Alternativ können Reisende ihr Formular auch an die darauf angegebene Adresse schicken und sich das Geld überweisen lassen. Laut der EU-Verordnung 1371/2007 muss der betroffene Fahrgast die Entschädigung innerhalb eines Monats bekommen. Unternehmen, die nicht am Servicecenter Fahrgastrechte teilnehmen, sollten Betroffene direkt kontaktieren – zum Beispiel mit einem formlosen Brief, der Kontakt- und Kontodaten sowie Informationen zur Reise und die Kopie des Tickets enthält.