(Obstacle Course Racing – Eine kurze Vorstellung Meine Hände zittern während ich versuche das Seil zu greifen. Die klammen Finger umschließen das Geflecht und mein Kopf schreit innerlich auf, sobald ich Druck auf die längst aufgescheuerten Handinnenflächen ausübe. Der Regen prasselt unaufhörlich vom Himmel und ich weiß, dass ich trotz der Schmerzen viel Druck aufwenden muss, denn das Seil ist nass und rutschig. Die Glocke in vier Metern Höhe schwingt im Wind und scheint mich zu verhöhnen.
„Du kannst mich läuten, aber erst musst Du hier raufkommen“, scheint sie zu denken. Doch ich werde dort hinaufklettern, dieses Ding läuten und dann weiterlaufen. Ich muss einfach, denn ich will ins Ziel, ich will das hier schaffen! Dieser Anflug von Trotz gibt mir Kraft und ich klettere. Zug um Zug kommt die Glocke näher. Ein Blick nach unten macht mich nervös, denn ich bin hoch und muss höher, nur durch meine eigene Kraft am Seil gesichert. Noch zwei Züge, noch einer, meine Füße sichern mich automatisiert mit einer Beinschlaufentechnik, eine Hand vom Seil lösen und die Glocke hauen. Puuuh…. Das Läuten begleitet mich, während ich langsam nach unten rutsche, kurz durchatme und weiterlaufe.
Genau diese Szene erzähle ich am Abend in der Pizzeria, in der Runde vor gebannt zuhörenden Leidensgenossen. Die „OCR-Family“, eine Ansammlung von Bekannten die sich mit mir zusammen ebenfalls der Herausforderung des heutigen Hindernislaufes gestellt haben, nicken verständnisvoll und stolz schwellt sich die eine oder andere Brust unter den wohlverdienten Finisher-Shirts bei einigen der Anwesenden. Die Gemeinschaft hat das alles auch erlebt, man gehört dazu, alle Athleten die den Mut hatten an den Start zu gehen gehören dazu, ganz egal wie schnell oder langsam, dick oder dünn, alt oder jung sie auch sind. Heute sind wir alle eine Familie, die OCR Familie! #ocrfamily
„OCR“ ist die Abkürzung von „Obstacle Course Racing“, auf Deutsch „Extrem Hindernislauf“, im Folgenden einfach „Hindernislauf“ oder „OCR“ genannt. Diese Sportart gibt es bereits seit einigen Jahren und hat ihren Ursprung in der modernen Form beim berühmten „Tough Guy“, dem ersten und bekanntesten Hindernislauf aus Wolverhampton, England. OCR ist eine der am schnellsten wachsenden Sportarten weltweit und trifft den Nerv der Zeit und die Herzen der Athleten und viele von euch haben bereits Bilder dieser „Verrückten“ auf Instagram oder Facebook gesehen. Diese ständig steigende Nachfrage nach Rennen wird durch eine wachsende Zahl an Veranstaltungen mit innovativen Ideen befriedigt.
In Deutschland sprechen wir von Hindernisläufen, obwohl diese Bezeichnung genau genommen nicht ganz korrekt ist, denn Hindernisläufe sind die aus der Leichtathletik stammende Form von Rennen bei denen der Läufer Hürden und Wassergräben auf der Stadionbahn überwinden muss. Deshalb bleiben wir im Folgenden bei dem Begriff „OCR“.
Im OCR müssen die Athleten möglichst schnell vom Start ins Ziel laufen und dabei eine Vielzahl unterschiedlicher Hindernisse überwinden. Diese können natürlichen Ursprungs wie z.B. Flüsse, Seen, Schlamm, Berge oder Dickicht, oder künstlichen Ursprungs wie z.B Seile, Holzwände, diverse Hangelhindernisse oder Tragehindernisse sein. Die Hindernisse unterbrechen den Laufrhythmus des Athleten und müssen bezwungen werden, bevor der Läufer sein Rennen fortsetzen darf. Die Streckenlängen sind sehr unterschiedlich. Dabei liegt der Standard bei ca. 5 Kilometern (Kurzdistanz), doch auch Mitteldistanzen (ca. 15 Kilometer) und Langdistanzen (bis ca. 25 Kilometer) gehören in diese Kategorie. Selbstverständlich gibt es auch im OCR auch Ultra Distanzen bis 100 Kilometer Länge, diese sind jedoch eher selten, doch auch hier mit steigender Tendenz.
OCR ist wie das echte Leben. Der Athlet rennt los, muss Hindernisse verschiedenster Art überwinden und erreicht erst danach sein Ziel. Dort erhält er eine Belohnung die ihn unglaublich stolz macht. Im OCR ist dies meistens eine Finisher-Medaille und das bereits in der Einleitung bemühte Finisher-Shirt.
OCR fordert Dich ganzheitlich heraus
Die Fähigkeiten des OCR Athleten müssen extrem vielseitig sein, denn seine Sportart verlangt ihm Einiges ab. Die Laufstrecke muss souverän absolviert werden, wobei ihm das Laufen quer Feldein, durch Wald, Schlamm und die zu bewältigenden Höhenmeter der Berge nichts ausmachen darf. Seine Ausdauer muss gut ausgebildet sein und er muss sich daran gewöhnt haben, dass sein Laufrhythmus ständig durch Hindernisse unterbrochen wird. Dies ist so anders, fordernder als bei herkömmlichen Straßenläufen.
Doch „nur“ gut laufen zu können bringt einen OCR Läufer nicht ins Ziel. Er muss Hindernisse flexibel bewältigen, und diese fordern eine Vielzahl seiner Fähigkeiten heraus, die er sich im Vorfeld antrainieren sollte. Das Hochziehen seines Körpergewichtes an einem Seil, über eine Holzwand oder über künstliche Netze fordert genug Kraft und Kraftausdauer. Das Hangeln an Stangen, Ringen oder anderen Aufhängungen wird seine Unterarme und Hände fordern. Diese müssen so viel Griffkraft haben, dass sie auch zum Ende eines Rennens noch in der Lage sind, das eigene Körpergewicht von einem Ende des Hindernisses zum anderen zu befördern, ohne dass der Athlet herunterfällt. Bergablaufen und das Ausweichen von Wurzeln beim Waldlauf fordert eine schnelle Reaktion und genug Koordination um flexibel und rasend schnell zu reagieren. Wenn Baumstämme über einem Fluss liegen muss der OCR Athlet mit ziemlicher Sicherheit darauf balancieren, steht ein solch natürliches Hindernis nicht zur Verfügung, greifen Veranstalter gerne auf Slacklines zurück um die Balance-Fähigkeiten des Athleten zu fordern. Aus diesem Grund trainieren viele Athleten nach einem maßgeschneiderten Trainingsplan für Hindernisläufer.
Doch auch wenn der Athlet seinen Körper scheinbar perfekt trainiert hat, ist dies noch lange keine Garantie für das Erreichen des Ziels, denn der Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg liegt oft zwischen den Ohren. Vor allem auf längere Distanzen wird der Athlet beweisen müssen, dass er mental stark genug ist, denn er wird unbekannte Hindernisse überwinden müssen, wird sich den Elementen entgegenstellen und muss auch bei extremer Müdigkeit und Schmerzen einen klaren Kopf behalten. Nur wenn der Kopf den Körper unterstützt, wird der Athlet erfolgreich sein. Aber auch das kann man trainieren.
Training für einen Hindernislauf
Das Soll an so vielen physischen und psychischen Fähigkeiten macht ein koordiniertes und zielgerichtetes Training notwendig. Der Alltag eines OCR Sportlers ist zum Großteil von Ausdauertraining geprägt, allerdings stellt Ausdauer lediglich eine wichtige Basis der Vorbereitung auf einen OCR Lauf dar. Ein zielgerichtetes Krafttraining muss im OCR durch ein spezielles Griffkrafttraining erweitert werden, denn erst dieses ermöglicht dem Athleten einen souveränen Umgang mit den quantitativ und qualitativ wachsenden Hangelhindernissen. Ein bisschen an der Klimmzugstange hängen reicht längst nichtmehr aus um einen modernen Hindernislauf zu bestehen. Wenn der Sportler Kraft und Ausdauer hat und das Hangeln keine Probleme mehr bereitet, ist die Basis gelegt. Nun muss die Koordination und Balance regelmäßig gefordert werden, dann kann sich der OCR Athlet seinen mentalen Fähigkeiten widmen. Auch diese sind gezielt trainierbar und mentale Stärke ist erlernbar.
Im Folgenden will ich euch einen kurzen Überblick geben wie ein Training eines OCR Athleten konkret aussehen kann. Dies kann jedoch nur ein Anhaltspunkt sein, denn ein effektives Training muss immer auf den jeweiligen Sportler angepasst sein.
Ausdauer
Bereits in dem Namen der Sportart ist „Running“, also das Laufen enthalten und dieses bildet tatsächlich die Basis eines guten OCR- und Ausdauertrainings. Die Herausforderung im OCR Training ist, dass der Läufer sowohl lange Strecken mit Unterbrechungen, aber auch kurze Einheiten von einem Hindernis zum nächsten bewältigen muss, denn die Distanzen zwischen den Hindernissen sind unterschiedlich lang. Diese können von wenigen Metern bis zu mehreren Kilometern betragen. Steigungen und Unebenheiten gehören ebenfalls in ein Lauftraining eines OCR Athleten. Das Lauftraining wird also sowohl lange Einheiten zur Förderung der aeroben Ausdauer beinhalten, aber auch Intervalleinheiten und Steigerungsläufe sind obligatorisch. Doch das Schöne am OCR ist, dass Ausdauertraining mehr als nur Laufen ist. Wandern, Schwimmen, Radfahren und auch Sportarten wie Fußball sind sinnvolle und dem Athleten willkommene Ergänzungen die seine Leistung verbessern werden. OCR ist ein so vielseitiger Sport, dass ein vielseitiges Training überaus sinnvoll ist.
Kraft- und Griffkrafttraining
Ein sinnvolles OCR Krafttraining könnt ihr überall machen. Im Fitnessstudio mit Maschinen und Gewichten, im Crossfit mit Gewichten und dem eigenen Körpergewicht, im Freien mit dem eigenen Körpergewicht aber auch zu Hause mit kleinen Hilfsmitteln wie z.B. einem Sling Trainer. Die Möglichkeiten sind schier unerschöpflich, was ich als sehr angenehm empfinde. Es gibt eigentlich keine Entschuldigung nicht zu trainieren.
Auch wenn ein Ganzkörpertraining sinnvoll für den Aufbau einer gewissen Grundfitness ist und Stabilität für das Laufen verleiht, so muss ein OCR Athlet sich im Rahmen eines effektiven Trainings auf einige Muskelbereiche besonders konzentrieren, da diese in den Rennen besonders stark beansprucht werden. Dazu gehört die Körperspannung in der Körpermitte (Core-Bereich), der Rückenbereich für das Hochziehen des eigenen Körpergewichtes, die Arme und selbstverständlich die Unterarme und Hände im Rahmen des Griffkrafttrainings.
Koordination und Balance
„Every place can be your dojo“ hat ein alter Karate-Lehrer mal gesagt. Und genau das trifft bei der Schulung der Koordination und der Balance zu. Selbstverständlich könnt ihr diese gezielt mit Slacklines, einer Functional Ladder, Balance Pads etc. trainieren, aber am wirkungsvollsten ist die Integration des Koordinations- und Balancetrainings ins tägliche Leben. Bordsteine zum Balancieren, Überspringen von Hindernissen, Treppen mal verkehrt herum hochgehen etc. sollen als kleine Anregungen dazu dienen, gewohnte Pfade zu verlassen, so dass der Kopf neue Verknüpfungen bildet. Die Wirkung der kleinen Gewohnheitsveränderungen im Alltag sind in ihrer Summe gewaltig.
Tipps für Deinen ersten Hindernislauf
Du hast nun einen Überblick über Obstacle Course Racing (OCR) und das Training dafür bekommen. Dies hat Dich wahrscheinlich aufgrund der Anforderungen nahezu erschlagen, auch wenn dies nicht meine Absicht war. Ja, das Training für Deinen ersten OCR Lauf ist vielfältig. Aber auf der anderen Seite ist es eine Chance Deinen Alltag mal zu verändern und diesen aktiv und gesund zu gestalten. Ich möchte Dir mit den folgenden Tipps ein wenig die Angst vor Deinem ersten OCR Lauf nehmen, falls Du Dich gerade „nicht gut genug“ fühlst um zu starten.
- Melde Dich rechtzeitig für den OCR Lauf Deiner Wahl an! Sobald Du die Anmeldung abgeschickt hast, passiert etwas Seltsames mit Dir. Du hast Dir ein konkretes Ziel gesetzt und nun gibt es kein „Zurück“ mehr. Dein Denken verändert sich also von „Kann ich es schaffen?“ zu „Was muss ich tun um es zu schaffen?“. Du wirst sehen, Dein Kopf bringt Dir Lösungen und Du fängst an!
- Such Dir einen Teampartner! „Geteilte Freude ist doppelte Freude“ heißt es, und genauso ist es. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die ersten OCR Läufe im Team am meisten Spaß machen. Man kann sich helfen, sich mental unterstützen und das gemeinsame Training auf ein gemeinsames Ziel schweißt zusammen. Es entstehen extrem starke Bande die man ein Leben lang beibehält. Übrigens kann Dein Team gerne auch aus mehr als zwei Leuten bestehen. Im Training solltest Du Dich jedoch auf einen einzigen, zuverlässigen Trainingspartner konzentrieren.
- Trainiere nach Plan! Lass Dir einen Plan erstellen und halt Dich daran. Ein Trainingsplan ist Dein Weg der Dich zum Ziel führt und der Trainer hilft Dir, wenn Du mal von dem Weg abkommst. Es ist wie ein Kompass der Dir dabei hilft, auch über längere Zeit in die richtige Richtung zu gehen um Dein Ziel zu erreichen, auch wenn Du ab und zu mal eine falsche Abzweigung nimmst. Dabei geht es nicht darum sich einzuengen, sondern um Anregungen zu bekommen. Gerne unterstütze ich Dich mit einem auf Dich zugeschnittenen Plan.
- Fang sofort an! Wenn Du zweifelst dann mach den ersten Schritt und fang an. Es geht nicht um die Geschwindigkeit mit der Du Dich entwickelst, sondern um die richtige Richtung in die Du gehst. Aber dafür musst Du starten!
Ich wünsche Dir viel Erfolg dabei und freue mich, wenn wir uns mal im Schlamm sehen!
Dein Uwe Kauntz
Zum Autor
Uwe Kauntz Hallo Leute, ich bin Uwe und bin mein ganzes Leben lang betreibe ich leidenschaftlich Sport. Seit über einem Jahrzehnt betreue ich Sportler und solche die es werden wollen auch als ertifizierter Fitness-, Athletik- und Mentaltrainer. Seit über fünf Jahren hat mich die Leidenschaft für Obstacle Course Racing gepackt, welcher ich in mittlerweile über hundert eigenen OCR Rennen nachgehen durfte. Für mich gibt es keine schönere Sportart, weshalb ich diese Leidenschaft sowohl in meinen Trainings, mit meinen OCR Trainingsplänen als auch auf meinem Blog weiterzugeben versuche.
Ich hoffe, ich konnte mit meinem Gastartikel in Dir die Neugierde wecken und freue mich auf Dein Feedback.
Sportliche Grüße,
Uwe
Mein Blog: