Urteil vom 12. März 2025 - IV ZR 32/24 - Der unter anderem für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom heutigen Tag entschieden, dass eine Ersetzung der durch den Senat im Jahr 2016 für unwirksam erklärten Regelung in § 4 Abs. 4 MB/KT 2009 durch den Krankentagegeldversicherer auf der Grundlage von § 164 Abs. 1 Satz 1 VVG nicht in Betracht kommt, weil die Notwendigkeit der Klauselersetzung im Sinne der vorgenannten Regelung nicht gegeben ist. Für den Krankentagegeldversicherer stellt es keine unzumutbare Härte dar, an einem infolge der Unwirksamkeit der Klausel lückenhaft gewordenen Vertrag festgehalten zu werden.
Sachverhalt und Prozessverlauf:
Der Kläger hält bei dem beklagten Versicherer eine Krankentagegeldversicherung. Dem Vertrag lagen Allgemeine Versicherungsbedingungen zugrunde, welche in § 4 Abs. 4 eine Bestimmung enthielten, die § 4 Abs. 4 der damaligen Musterbedingungen des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV) entsprach und welche die Beklagte bei gesunkenem Nettoeinkommen des Klägers zur Herabsetzung des Krankentagegeldsatzes berechtigte. Eine solche Klausel hat der Senat mit Urteil vom 6. Juli 2016 (IV ZR 44/15, BGHZ 211, 51) wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB für unwirksam erklärt.
2018 übersandte die Beklagte dem Kläger geänderte Allgemeine Versicherungsbedingungen, in denen die Möglichkeit der Herabsetzung des Tagessatzes bei gesunkenem Nettoeinkommen des Versicherungsnehmers neu geregelt wurde.
Der Kläger hält die Neuregelung für unwirksam. Er begehrt mit seiner Klage die Feststellung, dass seine Krankentagegeldversicherung mit dem ursprünglich vereinbarten Tagessatz fortbesteht und die Beklagte nicht berechtigt ist, das Krankentagegeld einseitig herabzusetzen. Ferner verlangt er von der Beklagten die Zahlung eines sich aus der Herabsetzung ergebenden Differenzbetrages sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der geltend gemachten Nebenforderungen stattgegeben. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und das Urteil des Landgerichts wiederhergestellt.
Dabei ist der Senat im Wesentlichen von folgenden Erwägungen ausgegangen:
Die Ersetzung einer durch höchstrichterliche Entscheidung oder durch einen bestandskräftigen Verwaltungsakt für unwirksam erklärten Regelung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen kann nur dann im Sinne des § 164 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VVG zur Fortführung des Vertrages notwendig sein, wenn infolge der Unwirksamkeit der Klausel mindestens die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung gegeben sind. Eine solche ergänzende Vertragsauslegung in vorformulierten Versicherungsverträgen setzt nach ständiger Rechtsprechung des Senats jedenfalls voraus, dass keine dispositiven Gesetzesbestimmungen zur Füllung der entstandenen Lücke zur Verfügung stehen und es dem Versicherer gemäß § 306 Abs. 3 BGB ohne ergänzende Vertragsauslegung unzumutbar ist, an dem lückenhaften Vertrag festgehalten zu werden.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Zwar kann es in den Fällen eines dauerhaften Absinkens des Nettoeinkommens unter den versicherten Tagessatz zu einer Erhöhung des (subjektiven) Risikos für den Versicherer kommen. Dies aber stellt für den Krankentagegeldversicherer keine unzumutbare Härte im Sinne von § 306 Abs. 3 BGB dar.
Dies folgt insbesondere aus der Ausgestaltung der Krankentagegeldversicherung als Summenversicherung, weil einer so ausgestalteten Versicherung immanent ist, dass die Versicherungsleistung von dem versicherten Risiko abweichen und deshalb höher, aber auch niedriger als der tatsächliche Durchschnittsverdienst des Versicherungsnehmers ausfallen kann. Zu berücksichtigen ist bei der Abwägung ferner, dass die Vertragsparteien die Inkongruenz zwischen Nettoeinkommen und Versicherungsleistung teilweise selbst als zumutbar bewerten, nämlich für den umgekehrten Fall, in dem bei gestiegenem Nettoeinkommen des Versicherungsnehmers die Versicherungsleistung das zu versichernde Risiko unterschreitet.
Sollte sich der Wegfall der Herabsetzungsmöglichkeit auf die Prämienkalkulation auswirken, steht es dem Versicherer bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen zudem frei, auf der Grundlage vertraglicher oder gesetzlicher Regelungen die Prämien neu festzusetzen. Der Umstand, dass dem Versicherer die Möglichkeit genommen ist, den Krankentagegeldsatz herabzusetzen, hindert ihn schließlich nicht daran, unter Umständen unberechtigte Leistungsansprüche zurückzuweisen und von dem Versicherungsnehmer die Erfüllung nach wie vor im Bedingungswerk vorgesehener Nachweispflichten für das Vorliegen des Versicherungsfalls zu fordern.
Vorinstanzen:
Landgericht Köln - Urteil vom 11. Januar 2023 - 23 O 168/21
Oberlandesgericht Köln - Urteil vom 27. Februar 2024 - 9 U 40/23
Die maßgebliche Vorschrift lautet:
§ 164 VVG
Bedingungsanpassung
(1) Ist eine Bestimmung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Versicherers durch höchstrichterliche Entscheidung oder durch bestandskräftigen Verwaltungsakt für unwirksam erklärt worden, kann sie der Versicherer durch eine neue Regelung ersetzen, wenn dies zur Fortführung des Vertrags notwendig ist oder wenn das Festhalten an dem Vertrag ohne neue Regelung für eine Vertragspartei auch unter Berücksichtigung der Interessen der anderen Vertragspartei eine unzumutbare Härte darstellen würde. Die neue Regelung ist nur wirksam, wenn sie unter Wahrung des Vertragsziels die Belange der Versicherungsnehmer angemessen berücksichtigt.
(2) Die neue Regelung nach Absatz 1 wird zwei Wochen, nachdem die neue Regelung und die hierfür maßgeblichen Gründe dem Versicherungsnehmer mitgeteilt worden sind, Vertragsbestandteil.