Mit einem Tax ruling aus dem Jahr 2003 billigten die luxemburgischen Behörden einen Vorschlag des AmazonKonzerns, der die Behandlung zweier in Luxemburg ansässiger Tochtergesellschaften dieses Konzerns im Hinblick auf die luxemburgische Gesellschaftsteuer betraf. Mit Beschluss aus dem Jahr 2017 stellte die Kommission fest, dass dieses Tax ruling eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe darstelle.
Die Kommission war der Ansicht, dass die Berücksichtigung einer Vergütung, die eine dieser beiden Tochtergesellschaften an die andere gemäß einem zwischen ihnen geschlossenen Lizenzvertrag über die Nutzung immaterieller Vermögensgegenstände gezahlt hatte, die Steuerbemessungsgrundlage der ersten Tochtergesellschaft und damit letztlich des AmazonKonzerns in Luxemburg und Europa künstlich verringert habe. Luxemburg und Amazon fochten den Beschluss der Kommission beim Gericht der Europäischen Union an. Im Mai 2021 befand das Gericht1, dass die Kommission nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen habe, dass die Steuerlast der betreffenden Tochtergesellschaft des Amazon-Konzerns zu Unrecht verringert worden sei.
Es war der Auffassung, Luxemburg habe dieser Tochtergesellschaft keinen selektiven Vorteil gewährt, und erklärte den Beschluss der Kommission daher für nichtig. Mit seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof das Rechtsmittel der Kommission gegen das Urteil des Gerichts zurück.
Nach Auffassung des Gerichtshofs hat das Gericht zu Unrecht anerkannt, dass der Fremdvergleichsgrundsatz, anhand dessen beurteilt wird, ob konzerninterne Transaktionen zu Marktbedingungen getätigt werden, im Rahmen der Durchführung der Regeln der Union über staatliche Beihilfen allgemein anwendbar ist. Da dieser Grundsatz nämlich keinen eigenständigen Bestand im Unionsrecht hat, kann sich die Kommission nur auf ihn berufen, wenn er im betreffenden nationalen Steuerrecht – hier im luxemburgischen Steuerrecht – verankert ist. Ebenso hätten entgegen der Auffassung des Gerichts die Leitlinien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die diese Transaktionen betreffen, hier nur von Bedeutung sein können, wenn das luxemburgische Steuerrecht ausdrücklich auf sie Bezug genommen hätte. Der Gerichtshof zieht daraus den Schluss, dass die Kommission das „Bezugssystem“ falsch bestimmt hat.
Diese Bestimmung stellt den ersten Schritt der Prüfung einer nationalen Maßnahme dar, die durchzuführen ist, um diese als staatliche Beihilfe einstufen zu können. Ungeachtet dieser Rechtsfehler und der fehlerhaften Schlussfolgerung des Gerichts, wonach der Fremdvergleichsgrundsatz zum Zeitpunkt der Erteilung des fraglichen Tax ruling im durch das luxemburgische Steuerrecht festgelegte Bezugssystem verankert gewesen sei, bestätigt der Gerichtshof das angefochtene Urteil,
da der Beschluss der Kommission zwar nicht aus den vom Gericht angenommenen Gründen, aber jedenfalls wegen dieser fehlerhaften Bestimmung des Bezugssystems für nichtig zu erklären war. Das Gericht hatte den Beschluss der Kommission nämlich aufgrund von Fehlern für nichtig erklärt, die bei der Anwendung dieses Bezugssystems begangen worden waren, da es von der unzutreffenden Annahme ausging, dass dieses Bezugssystem mit dem AEU-Vertrag im Einklang stehe.
Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-457/21 P |